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15 März 2016    /    

Aix-en-Provence, am säuselnden Wasser entlang-

Aix-en-Provence zieht sich ins Landesinnere zurück, abseits von der großen Metropole Marseille, und zieht dem Mittelmeer das zauberhafte Rauschen ihrer unzähligen Brunnen vor. Es wäre leicht, bei einer Reise durch den Süden Frankreichs die historische Hauptstadt der Provence zu übersehen, aber schade wäre es auch. Denn hinter ihren prunkvollen Fassaden und eleganten Alleen schlägt seit Jahrhunderten das alte Herz des Landes. Kann ich Ihnen ein Geheimnis verraten? Hier liegt die schönste und auch die geheimnisvollste Stadt der Provence.

Wenn ich an Schicksal glaubte, würde ich meinen, ich sei dazu bestimmt, in Aix-en-Provence zu leben.

Entdecken Sie Aix-en-Provence, die historische Hauptstadt der schönen Provence. Itinera Magica

Flüsse, Meer, Brunnen – ich muss am Wasser sein. Hier der berühmte Rotonde-Brunnen, am Cours Mirabeau, in Aix-en-Provence.

Ich bin im Norden der Provence aufgewachsen, in einem Haus, das über die Rhône ragte. In der nächtlichen Stille hörte ich den Fluss unter den Felsen rollen, und das raue Möwengeschrei der vorbeifahrenden Schiffe. Ich stelle mir vor, wie sie auf den Süden zusteuerten, die tiefe, ungestüme Rhône abwickelten, bis zur Mündung, bis zum Mittelmeer, und wie sie beim Tagesanbruch die Sonne an einem grenzenlosen Horizont aufgehen sehen würden. Mittelmeer. Das Wort faszinierte mich. Auch meine Welt kreiste um diesen erträumten Mittelpunkt.

Auf diesen Kalksteinfelsen über der Rhône bin ich aufgewachsen.

Auf diesen Kalksteinfelsen über der Rhône bin ich aufgewachsen.

Sobald das Wetter schön war, ging es auch Richtung Süden. Das Meer war keine hundertdreißig Kilometer entfernt, und die Sehnsucht unstillbar. Im Gedanken hat sich meine Heimat schon immer Richtung Süden erstreckt. Ich war wie die Rhône, auf deren Ufer ich aufgewachsen bin – auch ich folgte einem unwiderstehlichen Drang nach Meer. So wie manche Blumen Heliotropen sind, war ich ein „thalassatropes“ Geschöpf. Mir war so, als würde die innere Topographie meines Herzens auch den üblichen Regeln der Natur folgen, und ich weiß noch, wie bildlich ich mir vorstellte, dass auch das Blut in meinen Adern sich der Hydrographie beugte und die Anziehung eines unendlichen Ozeans verspüren musste. Mein Leben konnte nur einer Richtung folgen: gen Süden, alles andere wäre naturwidrig. Ich habe Ausnahmen gemacht, aber grundsätzlich bin ich bei diesem Vorsatz geblieben. Seit einiger Zeit lebe ich in Aix-en-Provence.

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Place des Cardeurs in Aix-en-Provence

Das Meer habe ich immer noch nicht erreicht – der nächste wirklich schöne Strand liegt in La Couronne (Plage du Verdon, eine malerisch hübsche Bucht mit hellem Sand), und bis dahin sind es noch mehr als dreißig Minuten Autofahrt. Ich sehe das als Prozess. Vielleicht verzögere ich sogar absichtlich meine Mündung ins Mittelmeer – denn dann wäre das Ziel erreicht. Der Fluss löst sich im Blauen auf, und hört auf, zu sein. Aix-en-Provence ist aber eine schöne Zwischenstation. „Wasserstadt, Kunststadt“, versprechen die braunen Schilder auf der Autobahn, und so hätte ich sie auch zusammenfassen können. Die Leute aus der Gegend meinen auch, Aix sei die kleinere, ruhigere, hübschere, bürgerlichere, kulturellere Stadt, abseits der bunten und chaotischen Metropole Marseille. Die Stadt der Reichen, im Landesinneren behutsam abgeschottet von der Millionenstadt der Ärmeren. In den Klischees liegt vielleicht doch immer etwas Wahres. Aber ich widerspreche alldenjenigen, die meinen, man würde sich in Aix langweilen. Wer sich in Aix langweilt, ist für das Leben einfach unbegabt.

In der Innenstadt von Aix.

In der Innenstadt von Aix.

Vielleicht hänge ich ganz besonders an Aix, weil sie historisch die wahre Hauptstadt meiner geliebten Provence war, und das ist sie in meinen Augen auch geblieben – die elegante, beseelte Hofstadt, im Brunnenprunk und Legendengemurmel, die Perle der Provence. Die Herzensstadt des Königs René, seit dem 15. Jahrhundert unangefochtener Fahnenträger der provenzalischen Mythen. Bevor die Provence Frankreich anheimfiel, war sie ein eigenständiges Königreich voller Schlösser auf zerklüfteten Felsen, Minnesänger und ausgegrabenen Heiligen, deren Reliquien himmlisch duften, und Aix führt immer noch den Gespensterball. Die Innenstadt schwirrt vom Brunnengesang, und in den kleinen Gassen sind die schönen Fassaden der Monumente und der Stadtpalais kaum aufzuzählen. Auf dem breiten Cours Mirabeau mit den vielen Platanen bekommt man vor dem Hôtel d’Entrecasteaux eine gruselige Geschichte zu hören: 1784 hat dort der gleichnamige Marquis die Kehle seiner Ehefrau Angélique de Castellane mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt, nachdem ein erster Mordversuch mit Gift fehlgeschlagen war. Ansonsten benimmt man sich in Aix schon sittlicher.

Straßenmusiker.

Straßenmusiker.

 

Brunnen in den eleganten Gärten des Hôtel Caumonts. aix-en-provence

Brunnen in den eleganten Gärten vom Hôtel Caumont.

Zwischen Rathaus und Dom bieten die kleinen malerischen Gassen schöne Plätzchen, lokale Märkte, angenehme Restaurants und verborgene Schätze im Überfluss, und nicht nur um den lauten „Place des Cardeurs“ bleibt das Nachtleben bis zu den frühen Morgenstunden wach. Aix-en-Provence hat immer noch etwas leicht dekadent Aristokratisches, nicht nur durch die lyrischen Festspiele im Sommer und die vielen Kunstmuseen – hinter der Maske verbirgt sie einige Geheimnisse.

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Fürstliche Gemächer aus dem 18. Jahrhundert im Hôtel Caumont, heute ein raffiniertes Kunstmuseum mit interessanten Sonderausstellungen.

 

Am Cours Mirabeau

Am Cours Mirabeau – das berüchtigte Hôtel d’Entrecasteaux auf der rechten Seite.

 

La Sainte Victoire

Wenn man nach einer schlaflosen Nacht ins Freie gehen möchte, kommt man um das selbstverständlichste, ja unausweichliche Ausflugsziel nicht umhin – und das möchte man auch gar nicht: die Sainte-Victoire, der durch Cézannes unermüdliche Obsession mit seinen Schatten und Nuancen berühmt gewordene provenzalische Berg schlechthin. Sobald man sich Aix-en-Provence nähert, muss man an der Sainte-Victoire wie an einem Wächter vorbei.

"La Croix de Provence", das Kreuz auf der Spitze des Berges.

“La Croix de Provence”, das Kreuz auf der Spitze des Berges.

Majestätisch steil liegt sie grau und unerbittlich wie ein wachsames, uraltes Tier, dessen Auge nie zugeht; das Kreuz, das an ihrer Spitze errichtet wurde, geht selbst im tiefsten Nebel nie unter, es ragt trotzend heraus, und fängt beim Sonnenuntergang immer den letzten Strahl auf, wenn alles auf den Hängen im Schatten schon einschlummert. In solchen funkelnden Augenblicken hat mir mal ein atheistischer Freund gestanden, er würde sich bei diesem Anblick schon kleine Sorgen um sein Seelenheil machen. Die Provence von gestern war urkatholisch – „Prouvençau e catouli“, das alte Kampflied, wird zu feierlichen Anlässen immer noch in der Kirche gesungen – und irgendwann färbt das leicht ab. Die steile Besteigung der Sainte-Victoire, bis zum Kreuz („la croix de Provence“), ist eine Wallfahrt, die jeder Provenzale einmal abgelegt haben muss.

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Am Fuss des heiligen Berges, die Sainte Victoire.

Roquefavour

Der zweite beliebte Ausflug ist weniger metaphysisch beladen, aber nicht weniger schön: eine Wanderung auf dem Aquädukt von Roquefavour.

Die Sicht auf das Tal.

Die Sicht auf das Tal.

Oft glaubt man, die beeindruckende Brücke gehöre zur hochentwickelten römischen Wasservernetzung in der Gegend von Aix, und tatsächlich schreibt sie sich in diese uralte Tradition ein, aber eigentlich ist der antike Stil nur Nachahmung: diese Brücke (das höchste Steinaquädukt der Welt, bitte) wurde 1841 erbaut, um die Gewässer des Flusses Durance bis nach Marseille zu führen. Ihre grünblauen Windungen durch sanfte Hügeln und über einem sehr weiten Tal, wodurch ein anderes hohes Viadukt nun die TGV-Linie führt, sind der Stoff zu typischen Ansichtskarten.

Das Aquädukt von Roquefavour im Herbst.

Das Aquädukt von Roquefavour im Herbst.

 

Am Äquadukt von Roquefavour, die Sicht auf das weite Tal von Aix

Am Äquadukt von Roquefavour, die Sicht auf das weite Tal von Aix-en-Provence.

In der Nacht des Blutmondes, im September 2015, habe ich den Wecker um drei Uhr gestellt und im Dunkeln den steinigen Hang bis zum Aquädukt bestiegen, in der Hoffnung, die Mondfinsternis zu erblicken – aber die Wolkendecke blieb undurchdringlich und die Nacht düster. Nur das Licht aus Marseille stieg diffus hinter den schwarzen Hügeln hoch, aber die Van Gogh-artigen kosmischen Visionen blieben aus und trübten den kalten Himmel.
Jedoch ist Aix für mich nie ein Nebengestirn gewesen, am Rande von der neuen Metropole. Es ist das alte Herz der Provence, im Quellwasser immer neu verjüngt. Ich höre es tief in der Nacht, wenn alles Leben langsam verebbt, und das Herz in den vielen Brunnen dumpf und eigensinnig schlägt. Ich gehöre schon hier her.

Nachts am Cours Mirabeau

Nachts am Cours Mirabeau. Der Brunnen (Fontaine des Neuf Canons) wurde 1691 errichtet.

 

Fontaine d'Albertas in der Abenddämmerung.

Fontaine d’Albertas (1912) in der Abenddämmerung.

 

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Am Place de l’Hôtel de Ville, mit seinem schönen Brunnen aus Bibemus-Stein (1756).

 

 

Place des Cardeurs. Aix-en-Provence

Place des Cardeurs.

 

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Nächtliche Stimmung.

 

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